Die katholische Kirche und die moderne Kunst

Gespräch Hubert Nitsch und Leo Zogmayer

 

 

Nitsch: „Danke für den österreichischen Einstieg heute. Leo Zogmayer ist Österreicher wie ich, geboren in Krems, er lebt in Krems und Wien, wo er auch seine Ateliers betreibt. Bekannt wurde er mit verschiedenen Arbeiten im Sakralbereich, beispielhaft seien erwähnt Aschaffenburg, Bonn – St. Franziskus, die Kapelle für die deutsche Gemeinde in Brüssel, Wilten, die Karmelkapelle in Innsbruck, wo ich erstmals Leo Zogmayer begegnete als Kunstreferent der Diözese Linz. Momentan in Arbeit sind zwei Projekte, eins in Ternberg/Oberösterreich, bei dem ich mitwirken darf, und dann das Zisterzienserkloster Marienstatt im Westerwald im Bistum Limburg. An künstlerischen Arbeiten im öffentlichen Raum zähle ich beispielhaft drei Arbeiten auf: Tübingen, Wien und St. Pölten. Was mich zu meiner ersten Frage führt: Gehst Du an Arbeiten im Sakralraum unterschiedlich heran als an diejenigen im öffentlichen Raum?“

Zogmayer: „Zunächst sollte man fragen, was Kunst tut und was Religion. Auch wenn es vielleicht romantisch klingt: Kunst feiert die Sichtbarkeit der Welt. Und das tut Religion auch, wobei sie dabei vielleicht den Akzent mehr auf die Dankbarkeit legt. Bei den eben gezeigten Fotografien habe ich ganz bewusst Arbeiten aus dem sakralen Kontext neben Installationen für den öffentlichen Raum und Bilder von Ausstellungen und aus meinem Atelier gestellt. Für mich gibt es da keine scharfe, deutlich auszumachende Grenze. Man kann sehen, dass die Bildideen die Bereiche überlappen; so hat sich manche autonom entstandene Bildfindung später in einem Sakralraum bewährt. Beispielsweise war der Schriftzug »If you celebrate it« als Hinterglasbild für eine Ausstellung konzipiert. Dieses abgewandelte Zitat von John Cage gab es zunächst als autonomes Werk, bevor ich den Satz dann auf die Türdrückerplatte der Studentenkapelle Leechgasse in Graz graviert habe.“

N: „Du verfolgst also einen autonomen Ansatz. Einer meiner früheren Lehrer hat einmal gesagt: „Kunst und Religion sind soziologische Systeme, die beide das Leben thematisieren und sich daher auf dieser Ebene etwas zu geben haben.“ Insoweit entsteht für mich die Fragestellung, wie ein Dialog geführt werden kann. Denn du betrittst ja nicht einfach eine Kirche und tust kund, was du dir überlegt hast. Vielmehr habe ich von deiner Arbeitsweise erfahren, dass du Ideen aus Gesprächen aufgreifst oder dich von der Macht des Ortes inspirieren lässt. Wie geht das vonstatten?“

Z: „ Oh, das sind jetzt unterschiedlichste Frage-Ebenen. Die verfasste Religion ist natürlich zunächst einmal so etwas wie ein System, Kunst ist nicht so leicht institutionalisierbar, daher sehe ich Kunst nicht als solch ein System. Das spannende Beziehungsgeflecht, das sich zwischen Kunst und Religion entwickeln kann, entsteht also erst aus der Tatsache, dass die Kunst viel freier agieren kann. Ich gehe auch nicht so regelmäßig in Gottesdienste und halte das für wichtig, weil ich sonst für die Kirche nicht mehr gut arbeiten könnte. Kannst du das nachvollziehen?“

N: „Ja, so ist das zu verstehen. Siehst du dich insoweit in einer Vorreiterrolle, in einer missionarischen Dimension tätig? Ich weiß von einer Reihe von Priestern, die mir bestätigt haben, dass sie von dir sehr profitiert hätten, was Feierkultur betrifft, wieder neu sehen zu lernen und die Liturgie ganz neu feiern zu können?“

Z: „Nun, ich bin kein Theologe. Mein Ansatz, meine wesentliche Arbeitsmethode ist die des Schauens – und das meint jetzt nicht eine Beschränkung nur auf den Sehsinn. Wenn ich mich beispielsweise zurückerinnere an den Anfang meiner Arbeit für Sakralräume, an mein erstes Projekt vor 17 Jahren in Aschaffenburg, das sich auf Vermittlung von Friedhelm Mennekes bei Pfarrer Markus Krauth, der heute auch hier anwesend ist, ergab, hat es damit begonnen, dass ich mich erst einmal in die Kirche, in den Gemeinderaum gesetzt und geschaut habe. Zuerst ist mir damals aufgefallen, dass die Leute, obwohl Liturgie ja feiern bedeutet, eher grantig und überhaupt nicht erbaut geschaut haben. Also habe ich überlegt, was Feiern für diese Menschen noch bedeuten könnte. Das habe ich sie dann auch gefragt, und in diesen Gesprächen entfalteten sich spannende Themen. Diese Prozesse waren für mich auch deswegen interessant, weil sich der bildende Künstler nicht wie der Performer oder Musiker, Theatermensch usw. ständig in Konfrontation mit Publikum erlebt, sondern eher in der Einsamkeit des Ateliers. In der Arbeit für den öffentlichen Raum oder bei einer sakralen Aufgabenstellung wird man sehr konkret mit sozialer Wirklichkeit konfrontiert. Oft teilt man sich bei Projekten für Kirchengemeinden eine bis zu zwei Jahren oder manchmal sogar länger dauernde gemeinsame Wegstrecke.“

N: „Damit beschreibst du eine anthropologische Dimension deiner Arbeit; also das, was von den Menschen dort kommt und die Menschen als Feiernde werden von dir in den Mittelpunkt gerückt. Inwiefern ist dieses Vorgehen für dich eher eine soziale Aktion oder besitzt das Ganze eine spirituelle Dimension?“

Z: „Gibt es das Eine ohne das Andere? Ich denke, dass du mit einem Nebensatz den Kern der Liturgie angesprochen hast! Ich sage gerne: Liturgie ist die Kunst der Begegnung. Ich habe erlebt, dass Theologen diesen Satz missverstehen. Sie meinen dann, das sei allzu sehr auf das Soziale beschränkt. Vielleicht mangelt es oft daran, wirklich zu verstehen, was Begegnung bedeutet. Denn es ist doch das Schönste, was uns als Mensch widerfahren kann, wenn Begegnung gelingt – dass nichts mehr zwischen uns ist, nichts zwischen uns steht, das uns trennen könnte – und damit Welten geöffnet werden. Weiter definierbar ist Begegnung nicht. Wenn nichts mehr zwischen uns steht, dann eröffnen sich alle Dimensionen: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind …“

N: „Da werden also alle Kanäle geöffnet, auch fernab des Systems vorher. Das heißt, du würdest auch die Begriffe »Gläubigkeit des Künstlers, seine Frömmigkeit oder Kirchenbeitragszahler« eher negieren? Entweder hat der Künstler einen Zugang zu der Dimension, wie von dir beschrieben, oder eben nicht?“

Z: „Also darüber habe ich noch nie nachgedacht und vermutlich meine kirchlichen Auftraggeber auch nicht – oder sie haben das irgendwie für sich geklärt.“

N: „Also ich habe das für mich geklärt, aber es gibt bekanntermaßen Vorgesetzte oder Auftraggeber, die das für sich anders klären.

Von dir gestaltete Räume kommen ja immer sehr schlicht daher. Du hast ja dieses „Communio-Modell“ konzipiert, beispielsweise für die Projekte in Bonn und Brüssel, bei denen dieser Begegnungs-Charakter sehr deutlich transportiert wird. Erlebst du dann historische Räume trotzdem als grenzwertig oder als Grenz-Räume? Das, was mit der »Last der Tradition« umschrieben werden kann? Musst du dann zum Ikonoklasten werden?“

Z: „Ohne eine gewisse ikonoklastische Wendung kann ich mir Kunst im spirituellen Raum überhaupt nicht vorstellen.

Zur Last der Tradition: Als päpstliches Zitat haben wir heute schon gehört, dass es eine »Dynamik der Tradition« gibt. Von Gustav Mahler ist ein schöner Satz überliefert: „Tradition ist Schlamperei!“. Dieser Art von Tradition, die sich hauptsächlich auf Konventionen beruft, auf eine Tradition bloß der Formen, begegne ich häufig. Damit der zitierte Ausspruch nicht so stehen bleibt: Bei einer Orchesterprobe verlangte Gustav Mahler an einer bestimmten Stelle eine andere Spielweise. Die Orchestermusiker weigerten sich. Sie würden das schon immer so spielen, das habe bei ihnen Tradition. Und daraufhin ist wohl der eben zitierte Satz gefallen. Genau mit dieser Art von Schlamperei ist man im kirchlichen Bereich häufig konfrontiert.

Was die Schlichtheit der von mir gewählten Formen betrifft, hängt das sicherlich auch mit der aktuellen Situation zusammen, in der wir von den Medien ständig bombardiert werden mit einer überbordenden Vielfalt an Reizen. Nur wenn wir uns Leerräume schaffen, kann es gelingen, sich auf einen tieferen Gehalt zu besinnen. Besonders im Sakralraum müssen wir die Komplexität des sinnlich Gegebenen reduzieren.“

N: „Sieht du dich in einer ikonografischen Linie auf der Suche nach dem neuen Bild?“

Z: „Natürlich, Künstler suchen immer nach dem neuen Bild. Gleichzeitig zerstört die Kunst immer Bilder. Es geht in der Kunst gar nicht so sehr um das Schaffen von Bildern, sondern um das Aufbrechen von Bildern, was dann wiederum neue Bilder entstehen lässt. Dabei schwebt uns natürlich vor, zum wahren Bild, einer Art neuer „vera icon“ durchzustoßen, die aber dann nicht mehr formal fassbar ist. Ein paradoxer Vorgang: das wahre Bild bedarf der Bildzerstörung.“

N: „Dieses prozessuale Vorgehen bedeutet ja wohl nicht allein »ein Bild finden« sondern hängt doch auch mit »Bildung« zusammen, einer Bildung, die du vor Ort bei den Pfarrern leistest, was mich als Kunstreferent natürlich auch freut, da auch ich bestrebt bin, in den Kirchengemeinden diese Thematik hochzuhalten. Oft sind es dort jahrelange Prozesse der Bildung, bis man dann zu dem Schritt der Gestaltfindung durchdringt und damit beginnen kann.

Im Einladungsflyer zu dieser Tagung wird die Thematik der Erklärungsnotwendigkeit neuer Kunst angesprochen gegenüber ihrer Eigenwirksamkeit. Meine These ist, dass auch alte Kunst erklärt werden muss. Die barocke Ausstattungs-Konzeption im Wiener Stephansdom versteht der heutige Betrachter auch nicht von selbst, in die dortige Bilderwelt muss er sich genauso hineinarbeiten wie in die zeitgenössische Kunst. Ich kenne dich in den Kirchengemeinden als hervorragenden Erklärer aber dann auch als jemanden, der der Wirksamkeit seiner Werke vertraut. Wie sieht du diesen Spagat?“

Z: „Sicher, das Diskutieren endet irgendwann. Jeder Entwurfs- und Planungsprozess kommt irgendwann zu einem Ergebnis im Raum, das dann für sich sprechen muss. Der Gestaltfindungsprozess, den du ansprichst, interessiert mich deswegen im Sakralraum besonders, weil sich hier manches ernsthafter thematisieren lässt als auf den eitlen Bühnen der Galerien und Kunsthallen. Es geht mir, wie gesagt, um das Bilderlose, das meint auch, dass Bilder lose werden. Das sehe ich als wesentlichen Auftrag. Bilder dürfen uns nicht zuschütten, Bilder dürfen nicht Wirklichkeit verdecken. Eigentlich geht es jedem Künstler – bewusst oder unbewusst – vor allen Dingen darum, Wirklichkeit offenzulegen, zu enthüllen. Das Wort „Apokalypse“ bedeutet ja Enthüllung. Vielleicht ist die Kunst wesentlich eine Art unblutiger Apokalypse.“

N: „Auch wenn du von losen Bildern sprichst, du arbeitest immer auch mit einem Gesamtkonzept, sogar häufig mit einem Architekten, zumindest bei den größeren Projekten in meiner Diözese. Hat das mit einer anderen Herangehensweise zu tun, dass der Raum noch einmal extra bearbeitet werden will und du dich als bildender Künstler lediglich in einer Kooperation zeigen willst?“

Z: „Lose Bilder wollen in erster Linie den Rezipienten nicht so besetzen und ihn auf eine bestimmte Sehweise hin verpflichten. Beispielsweise die gezeigte große Skulptur JETZT: da sollte ein Wiener Stadtteil im Jahre 1999 ein neues Thema oder Motto bekommen. Was kann man da machen? Den Heiligen der Region thematisieren? – Das interessiert niemanden mehr und würde so auch nicht funktionieren. Also habe ich auf einer Grundfläche von 200 m² eine Bodenskulptur errichtet, auf der man auch sitzen kann, eine Skulptur aus den Buchstabenzwischenräumen des Wortes JETZT – ein Topos, den ich gerne umkreise.“

N: „Ein konziser Begriff, der in vielen Varianten bei dir vorkommt. Anderes Thema: Wo siehst du in Zukunft die Kirche? Wovor stehen wir, was blüht uns? Was nimmst du wahr?“

Z: „Es ist offenkundig, dass sich die römische Kirche in einem Prozess des Suizids befindet. Und das sehe ich nicht so sehr darin begründet, dass die Kirche die falsche Politik macht, sondern tatsächlich, weil sie eine falsche Liturgie feiert; in Räumen, die immer schlechter werden und mit liturgischen Texten, die vor dem Hintergrund der christlichen Botschaft einfach nicht haltbar sind. Zu dem dauernden Aufruf, die Kirche müsse zeitgenössischer und noch zeitgenössischer werden, vertrete ich eine Gegenposition: Die Kirche ist schon seit langem allzusehr Zeit-Genosse und hat zentrale Aussagen der christlichen Botschaft dem Zeit-Geist, dem Chronos, geopfert… Sie thematisiert kreisläufig das Warten und das Hoffen und versündigt sich am zentralen spirituellen Moment – göttlicher Allgegenwart. Man verharrt in einer Warte-, in einer Erwartungshaltung und kreiert theistische Figuren … Das ist dann nur noch Zeit-Kultur, profane Kultur. Auch wenn sich das über Jahrhunderte hält – eine solche Religion geht schließlich mit den kulturellen Phänomenen, an die sie sich anbiedert, mit zugrunde. Denn jedes kulturelle Phänomen besitzt ein Ablaufdatum.“

N: „ Entscheidungen auch im Zusammenhang mit Kunst und auch mit Kunst in der Kirche hängen wie immer auch mit Personen zusammen. Schaust du da beruhigt in die Zukunft?“

Z: „Wenn man in einem konkreten Prozess steckt, gibt es auch immer wieder dieses Gerangel in den verschiedenen Gremien und mit den Verantwortlichen. Dann sage ich: Wir sind jetzt mitten im Gottesdienst, wir sollten uns zusammenreißen. Wenn wir das jetzt nicht schaffen, wird unser Projekt auch keine Chance haben. Es ist mir wichtig, in dem, was wir miteinander tun, ganz konkret Gegenwärtigkeit zu leben und zu beweisen. Das ist die Aufgabe. Aber die Institution retten? Also bitte, das ist nicht mein Job, da sehe ich mich auch außer Stande, hierzu viel beizutragen. Mir geht es um die Qualität der konkreten Begegnung, das konkrete Miteinander …“

N: „Also meine Erfahrung als Kunstreferent mit der Arbeit im Sakralraum ist, dass es sich um Arbeit an einem Herzstück der Kirche handelt. Mein Standardspruch gegenüber Pfarrern lautet daher: Wenn wir nicht mehr fähig sind, unseren Glauben heute mit unseren heutigen Mitteln auszudrücken, dann haben wir verspielt. Es kann nicht darum gehen, noch einmal einen Neoneo-Barock oder eine Neo-Neugotik zu erfinden – das ist nicht Ausdruck unserer Zeit. Zu meiner letzten Frage: Du hast drei Wünsche frei; was wünschst du dir im Feld Kunst-Kirche-Religion? Oder was willst du, was wir sollen/wollen/können?“

Z: „Du willst mich dazu verführen, etwas Programmatisches zu sagen?“

N: „Ein Versuch ist es wert, oder?“

Z: „Ich finde, dass es so gut ist, wie es ist. Ich wünsch’ mir nichts … Nein, ich wünsche mir nichts.“

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