Heilige Gegenwart und gefüllte Leere

Zur Neugestaltung der Pfarrkirche St. Andreas in Mitterkirchen durch Leo Zogmayer

Michael Kurt

 

Beim Betreten eines Restaurants wurde John Cage die Frage gestellt, worin die Differenz zwischen alltäglichem Türöffnen und Türöffnen als künstlerischem Akt liege. Seine Antwort: „If you celebrate it, it ’s art, if you don ‚t, it isn ‚t.“ Alles, was wir tun, kann entweder gedankenlos, unbewusst und routiniert geschehen oder geistesgegenwärtig, würdevoll, voller Präsenz. Während zelebrieren meistens eine religiöse Konnotation hat, kann es durchaus auch alltägliche und profane Tätigkeiten umfassen.

Wer eine Kirchentür öffnet, tut dies eher gedankenlos. Noch weniger wird er den Gedanken haben, jetzt in ein Restaurant einzutreten, obwohl Kirche und Restaurant viele Gemeinsamkeiten haben. Restaurabo heißt soviel wie: ich werde (euch) stärken, erneuern, wiederherstellen, ermutigen, Kraft geben. Gott selbst ist es, der uns stärkt und bei dem wir ausruhen können. Ja, wenn wir die Tür zur Kirche öffnen, dann sind wir Gäste in Gottes Restaurant.

Wer die Tür des kirchlichen Restaurants in Mitterkirchen öffnet, der entdeckt im Hauptportal auf der Nordseite ein metallenes Tympanonelement mit eingefräster Schrift. Es ist nicht der Name des Kirchenpatrons Sankt Andreas, sondern eher kryptisch ein Code aus zwei Buchstaben und vier Ziffern: Lk 17,21. Uneingeweihte stehen vor einem Rätsel. Wer in der Taufe in das christliche Mysterium eingeweiht, zum Christen geweiht wurde, weiß um die Bedeutung dieses Codes. Im Lukas-Evangelium sagt Jesus: Das Reich Gottes ist schon mitten unter euch.

Für Leo Zogmayer, der die Kirche in Mitterkirchen neugestaltet hat, ist diese lukanische Aussage grundlegend. Nicht in ferner Zukunft, sondern schon jetzt ist es da, und zwar mitten unter den Menschen. Präsenz, Gegenwärtigkeit und das Leben im Jetzt sind das Entscheidende. Daher hat Zogmayer das Jetzt auch immer wieder künstlerisch zum Ausdruck gebracht. Von ihm entworfene Armbanduhren ohne Ziffernblatt tragen die Aufschrift JETZT oder Lk 17,21. Eine große Textskulptur aus Beton im öffentlichen Raum im Wiener Bezirk Ottakring bildet als Negativ JETZT ab. Die Passanten können durch die Zwischenräume gehen und befinden sich im JETZT. Leben ist nur im ewigen JETZT möglich.

Da sich das Reich Gottes nie abstrakt und theoretisch, sondern im Leben der Menschen verwirklicht, können auf den zweiflügeligen Innentüren der Kirche in Mitterkirchen Sätze aus der Feldrede des Lukas-Evangeliums gelesen werden. Die Glastüren sind halbtransparent beschichtet, sodass die Schrift als Negativ durchsichtig erscheint. Es geht um Durchsicht, Einsicht, bare Sicht auf das Wesentliche, auf das, was uns trägt und Leben ermöglicht.

Der spätgotische Kirchenraum, dreischiffig und vierjochig, wird von einem Netz- und Sternrippengewölbe, der Chor von einem Kreuzrippengewölbe mit 5/8-Schluss, überspannt. Während des Jahrhunderthochwassers im August 2002 in Mitteleuropa stand in der oberösterreichischen Kirche, die nahe der Donau gelegen ist, das Wasser fast mannshoch. Nur für diejenigen, die am alten Kirchenraum und seiner Einrichtung hängen, ist dies Unglück und Katastrophe. Für alle anderen Glück und Segen. Leo Zogmayer schuf 2004/05 einen reduzierten und klaren Raum entsprechend den liturgischen Bestimmungen nach dem 2. Vatikanischen Konzil, ohne den historischen Charakter des Gebäudes zu leugnen.

Die Kirchenfenster sind teils halbtransparent, teils bestehen sie aus gelben Farbbahnen in unterschiedlicher Breite. Der Raum ist hell, klar und lichtdurchflutet. Das einzelne Fenster ist bewusst ohne figürliche Darstellung. Alle Fenster zusammen bilden ein einheitliches Licht-, Farb- und Bildkonzept, das den ganzen Raum durchdringt und als bildloses Bild betrachtet werden kann.

Der Raum gliedert sich in das Kirchenschiff mit sechs tragenden Säulen und den geosteten Chorraum, in dem die eigentlichen liturgischen Handlungen geschehen. Im Westen der Kirche befindet sich eine Empore, die die ganze Breite des Schiffes einnimmt.

Der Fußboden ist aus grauen Steingussplatten gefertigt, in die 40 Kreuze, unregelmäßig verteilt auf den ganzen Kirchenraum, eingraviert wurden. Damit wird ein Bezug zur Andreas-Legende hergestellt. Einst fuhren 40 Jünglinge, die die Predigt des Apostels hören wollten, übers Meer, kenterten und ertranken. An den Strand gespült wurden ihre Leiber von Andreas‘ Predigt wieder zum Leben erweckt. Zugleich machen die eingravierten Kreuze deutlich, dass es sich hier um heiligen Boden und um einen Ort der Gottesbegegnung handelt (vgl. Ex 3,5).

An der Schwelle zwischen Chor- und Gemeinderaum steht ein ca. 40 cm großes silbernes Vortragekreuz, das auf einer ca. 180 cm hohen Stange aus Olivenholz angebracht ist. Die verbindende Mitte, in der sich der horizontale und vertikale Kreuzbalken treffen, ist bewusst als Leerstelle konzipiert. Sie verweist auf das Geheimnis Gottes, indem alle Gegensätze zusammenfallen und verbunden sind. Die leere Mitte verbindet Göttliches und Menschliches, Zeit und Ewigkeit, Transzendenz und Immanenz. Das Kreuz ist an der entscheidenden Stelle durchsichtig, transparent und nicht mehr stofflich existent.

Die Trennung von Apsis und Schiff ist so unauffällig wie möglich realisiert. Das Niveau des Chorraums liegt nur eine Stufe bzw. ca. 15 cm über dem Schiff. Damit befinden sich Gemeinde, Priester und liturgische Dienste fast auf Augenhöhe. Die Überhöhung des kirchlichen Amtes zu Lasten der Laien findet zumindest im Raumkonzept nicht statt. Das Reich Gottes, das mitten unter uns ist, ist in der Welt, aber nicht von der Welt. Klerikalismus und kirchliches Karrierestreben haben dort keinen Platz.

Der Platz der Gemeinde ist wie in allen von Leo Zogmayer gestalteten Sakralräumen der einzelne Stuhl, der spezifisch für Mitterkirchen entworfen wurde. Statt kollektiver Sitzbänke, die den Raum versperren und statisch, unbeweglich, immobil sind, ist der Stuhl mobiles Möbel. Er würdigt den Einzelnen, gibt ihm den Platz, den Bischof und Priester schon immer hatten.

Der Stuhl ist so konzipiert, dass er aufrechtes, waches Sitzen ermöglicht und Aufmerksamkeit und Präsenz erhöht. Der Stuhl ermöglicht Dynamik und Flexibilität, da sich die Stühle zu verschiedenartigen Versammlungsformen anordnen lassen, wobei der Phantasie keine Grenzen, die es im Reich Gottes nicht gibt, gesetzt sind. Je nachdem, wie die Stühle angeordnet sind, stellt sich Gemeinde anders dar und ergeben sich neue liturgische Feierformen. Dabei ist klar, dass kein Stuhl alleinsteht und es nicht um Individualismus und Vereinzelung im Gottesdienst geht. Christ genügt nicht sich selbst, Christ ist man immer mit anderen und für andere, Christsein bedeutet Pro- Existenz.

Stühle stehen neben-, vor- und hintereinander. Verbindungsbretter zwischen ihnen dienen als Ablagefläche und dienen dem Zu- und Miteinander der Gemeinde. In Mitterkirchen sind die Stühle aus Eiche gefertigt und mit schwarzem Wollfilz belegt. In der Grundform stehen sie mit Blickrichtung zum Chor als einziger Stuhlblock, der vom Mittelschiff leicht in die Seitenschiffe ausfällt. Die einzelnen Stuhlreihen sind leicht gebogen und lassen sich virtuell zu konzentrischen Kreisen, deren Mittelpunkt im Altar liegt, erweitern.

Die Prinzipalien Altar, Ambo, Priestersitz und Tabernakel sind in einfacher klarer eckiger Form gestaltet und verweisen darauf, dass die Botschaft Jesu vom Reich Gottes mitten unter uns aneckt und durchaus als anstößig empfunden wird. Das mehrere Jahrhunderte alte Material Olivenholz spannt einen Bogen zum Heimatland Jesu und verweist auf die heiligen Öle, die in der Liturgie an den Wendepunkten des Lebens, z.B. bei der Taufe und bei der Krankensalbung, verwendet werden, aber auch auch auf das Öl des ewigen Lichtes.

Der Altar, Tisch des Brotes, hat die Form eines umgedrehten U und besteht aus drei gleichgroßen quadratischen Holzplatten und kann als eine leichte Anspielung auf das Geheimnis des dreifaltig-geeinten Gottes angesehen werden, was durch drei Kerzen auf Edelstahlständern, die dezent neben dem Altar stehen, unterstützt wird. Der Ambo als Tisch des Wortes in der Form eines umgedrehten L steht an der Schwelle von Apsis und Schiff und verbindet die beiden Raumteile. Der mobile Priestersitz in der Form eines einfachen Schemels könnte dezent an einer Seite im Chor platziert werden, um die Bühnensituation und das permanente Gegenüber von Priester und Gemeinde zu entschärfen.

Relativ unauffällig und den liturgischen Bestimmungen gemäß ist der Tabernakel in Form eines Würfels an der Stirnwand des südlichen Seitenschiffes platziert. Seine vergoldete kostbare Tür verweist auf die Eucharistie, die wir immer wieder in Gottes Restaurant kosten dürfen. Das ewige Licht befindet sich auf einer etwa zwei Meter hohen Stele aus mattiertem Edelstahl.

Im Raum sind mehrere historische Figuren platziert, die mit der zeitgenössischen Ausstattung in einem wechselhaften Zueinander stehen. Im Chor hinter dem Altartisch steht ein zwölfeckiger Taufstein aus Rotmarmor aus dem 15. Jahrhundert. Der Kirchenpatron St. Andreas, eine Barockfigur aus dem späten 17. Jahrhundert, blickt von einer Nische in der Südwand des Chorraumes. An der Stirnwand des nördlichen Seitenschiffes befindet sich eine barocke Strahlenkranzmadonna und an der Längswand des Nordschiffes hängt ein geschnitzter Holzcorpus. Beide Figuren stammen aus dem 17. Jahrhundert.

Im Westteil der Kirche, einem jüngeren Anbau, der durch eine Steinscheibe getrennt ist, befindet sich eine Kapelle für kleinere Gottesdienste. Im Zentrum eines Stuhlkreises steht ein kleinerer Altartisch, in gleicher Form wie der Altar im Chorraum. Eine Kreuzigungsgruppe aus dem späten 18. Jh. mit Christus, Maria und Johannes hängt an der Stirnseite der Werktagskapelle.

Leo Zogmayer hat in Mitterkirchen einen reduzierten Sakralraum geschaffen, der Tradition und Moderne verbindet und Communio mit Gott und den Menschen ermöglicht. Der Raum zeichnet sich durch heilige Gegenwart und gefüllte Leere aus. Die zeitgenössische Einrichtung des kirchlichen Restaurants Mitterkirchen ist gelungen. Der Künstler hat gute Voraussetzungen geschaffen, damit Gott selbst hier „ein Festmahl … mit den feinsten Speisen, ein Gelage mit erlesenen Weinen, mit den feinsten, fetten Speisen, mit erlesenen, reinen Weinen“ geben kann (Jes 25,6).

 

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