If you celebrate it

Eröffnungsrede zur Ausstellung Leo Zogmayers in der Kath. Akademie in München, 2011

Walter Zahner

 

 

Leo Zogmayer ist ein Mann des Wortes. Viele seiner Arbeiten enthalten Buchstaben: einzelne Wörter, kleine Sätze oder auch im ersten Moment eher unkenntliche Wortzusammenstellungen, die vermeintlich mehr oder weniger Sinn ergeben. Viele seiner Werke sind deshalb so etwas wie Wort-Bilder.
Leo Zogmayer ist ein Mann der Ruhe und Stille, anders ausgedrückt: der Meditation. Seine Bilder sind Meditationsbilder des 21. Jahrhunderts. Und damit meine ich sowohl diejenigen mit den Wörtern oder kurzen Sätzen wie auch die, die bildlich oder auch grafisch arbeiten, die – und das sehen wir sofort in der Zusammenstellung der hier versammelten Werke – mehr bedeuten als nur eine geometrisch aufgeteilte Fläche.
Leo Zogmayer ist aber auch ein Mann der Gestaltung. Er verwandelt Räume, Kirchen und Kapellen. Wenn er bei der Neugestaltung eines Kirchenraums hinzugezogen wird – oftmals gewinnt er die zuvor durchgeführten Wettbewerbe –, so ändert, noch besser, verändert sich der Raum. Die Raumgestalt wird zurückgeführt auf wenige zentrale Aussagen; ihr Inneres wird neu durchdacht und sichtbar gemacht.

 

Kirchenraumgestaltungen

Ich kann das aus eigenem Erleben vielleicht eingangs kurz schildern. Nach einer Anfrage aus Ebrach, im Erzbistum Bamberg gelegen, habe ich die Gemeinde auf ihrem langen Weg hin zu einer Neugestaltung des Innenraums ihrer Kirche begleitet. Die zwischen 1200 und 1285 erbaute Klosterkirche war nach der Säkularisation im Jahr 1803 als Pfarrkirche weiter in Nutzung. Zum 200-jährigen Jubiläum war angedacht, ihrem Innenraum eine neue Gestalt zu geben. Diese sollte einerseits dem historisch wertvollen Raum entsprechen und andererseits auf die deutlich kleiner gewordene Gemeinde Rücksicht nehmen. Selbstverständlich waren zahlreiche denkmalpflegerische Belange und auch eine Reihe von – u. a. liturgischen – Vorgaben der Pfarrei zu berücksichtigen. Kurzum, den unter neun Künstlerinnen und Künstlern ausgeschriebenen Wettbewerb gewann Leo Zogmayer mit einer ebenso klaren wie konsequenten Lösung. Eingeschrieben in das Hauptschiff schlug er eine Ellipsenform vor, die das anschließende Mönchsgestühl, das noch vor der Vierung den zentralen Raum unterbricht, in moderner Sprache wiederholte, die der kleiner gewordenen Gemeinde eine neue Heimat geben sollte. Er gewann damit den Wettbewerb, die in der Jury anwesenden Mitglieder der Gemeinde und auch deren Begleiter freuten sich aber zu früh. Leider wurde diese Lösung nicht zur Ausführung bestimmt. Was damit verloren ging, können Sie an einigen der anderen hier gezeigten Kirchenprojekte Leo Zogmayers verfolgen.
Wahrscheinlich war die Idee des Communio-Raumes, der mit der Gegenüberstellung von Altar und Ambo sowie einer freien Mitte zweiseitig von der Gemeinde umschlossen wird, zu viel des Guten. Diesen verwirklichte Leo Zogmayer dann aber an anderer Stelle. Ich verweise hier auf St. Franziskus in Bonn oder auch St. Paulus in Brüssel. In beiden Räumen wird bis zu einem gewissen Grad die Leere zum Zeichen. Auf die leere Mitte hin öffnet sich die Versammlung, aus ihr heraus oder in ihr tritt ihr der Ganz Andere gegenüber. Diese Mitte ist Ereignisraum, Erwartungs- und Verweisraum oder auch Erfahrungsraum (Albert Gerhards). Wenn wir von Liturgie als dem Dialog zwischen Gott und Mensch sprechen, wie es Emil Joseph Lengeling, der Münsteraner Liturgiewissenschaftler und Konzilstheologe getan hat, dann ist diese Raumlösung nicht eine einfache bild-wörtliche Übersetzung dieses Diktums sondern sie drückt „die zentrale Botschaft (aus), dass das Himmelreich schon jetzt in unserer Mitte ist (Kairos)“ (Zitat Zogmayer, in: Communio-Räume S. 161).
Nicht dass jetzt ein falscher Eindruck entsteht; Leo Zogmayer kennt nicht nur eine, sondern arbeitet natürlich ebenso mit anderen Raumformen, etwa derjenigen eines offenen, umschließenden „U“s. Auch hierzu will ich ein Beispiel darstellen: Als vor mehr als zehn Jahren die Kirche Maria Geburt in Aschaffenburg-Schweinheim neu gestaltet wurde, hatte auch diese Gemeinde einen langen, nicht unbeschwerlichen Weg hinter sich. Die von manchen noch heute als zu radikal empfundene Neugestaltung der neoromanischen Kirche durch den Wiener Künstler Leo Zogmayer fand in der Fachöffentlichkeit allerdings nahezu durchweg eine positive Resonanz, hatte er doch eher ein Sammelsurium an Teilausstattungsstücken vorgefunden, das den Raum als Ganzen nicht mehr erlebbar machte. Seine Konzeption, die vom Altarraum über Wand- und Fenstergestaltung bis hin zu Gewändern und Blumenschmuck reicht, ist in sich schlüssig. Die Frage war (und ist bis heute), ob dies durchzuhalten ist. Ein zur 10-Jahr-Feier der Neugestaltung erschienener Band „laetita vacui – nichts als freude“ gibt ein beredtes Zeugnis davon, wie die Gemeinde gemeinsam mit ihrem Pfarrer, dies gestaltet; und wie der Titel schon sagt, der Aufbruch der Gemeinde ist gelungen.
Wir sollten uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass diesen Weg nicht alle Gemeindemitglieder mitgehen konnten. Das bestätigte der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann, auch in seinem Beitrag für den Band „Raumlichtung“, der zur Einweihung dieser Kirche erschienen ist. Er führt u. a aus: „So scheint mir der kraftvolle Eingriff Leo Zogmayers und des Architekten Roland Ritter in den überkommenen Zustand einer neugotischen Kirche sehr ungewöhnlich und gegen einen vorherrschenden Trend gerichtet. Er beschäftigt freilich nicht nur den Intellekt, sondern auch das Gefühl. Der Streit, den er in der Gemeinde und der lokalen Press ausgelöst hat, ist für mich nicht erstaunlich. … Ein Streit kann spalten und zu Feindschaft führen. Auseinandersetzungen können aber auch fruchtbar sein. Soviel kann man aber zum Fall Maria Geburt Aschaffenburg/Schweinheim sagen: Hier lohnt sich das Argumentieren, das Hinschauen und das Nachdenken.“ (Raumlichtung. S. 16)
Je konsequenter die Gestaltung und damit je höher die Anforderungen an eine Kirchengemeinde sind, umso mehr an Aufwand der Begleitung und Beteiligung ist nötig, um am Ende nicht alleine da zu stehen. Dies ist in nahezu vorbildlicher Weise vom Künstler gemeinsam mit dem Gemeindepfarrer Markus Krauth angegangen und über viele Jahre der Gespräche, der Besichtigungsfahrten und auch der Diskussionen im Miteinander entwickelt worden. Der Pfarrer drückt dies in einem – in „Raumlichtung“ abgedruckten Gespräch –, wie folgt, aus: „Grundkategorien christlicher Theologie eröffneten sich mir über die Erfahrung von Kunst.“ (a.a.O. S. 64) Deshalb sollte ein frei schaffender Künstler für die Umgestaltung des Kirchenraums gewählt werden. Die Wahl fiel dann in Absprache mit der Kirchenverwaltung auf Leo Zogmayer. Dessen offene Antwort erwähnt, dass er zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht geahnt hatte, worauf er sich eingelassen habe. Nach anfänglich konstruktivem und gutem Verlauf stellte sich alsbald eine vehemente Kritik an dem Projekt ein …
Dass das alles zu einem guten Ende geführt hat, sehen Sie an den Abbildungen sowie an dem oben schon erwähnten kleinen Band zum 10-jährigen Jubiläum der Kirchenumgestaltung, der für mich ein Beleg dafür ist, dass dies auch heute noch trägt. In grafischer wie textlicher Gestalt ist er eine Besonderheit, fällt aus dem bekannten Festschriftenrahmen heraus. Ein paar Zitate daraus sollen das deutlich machen. Einzelne Gemeindemitglieder oder Kirchenbesucher stellen fest: „Es ist erholsam, erfrischend, belebend.“ (Laetitia vacui. S. 7) „Dankbar bin ich für jeden weggelassenen Ballast … Fast nichts drin in der Kirche, das Notwendigste nur.“ (a.a.O. S. 8f.) „Ich brauche keine Ablenkung. Konzentration auf das Eigentliche, das Göttliche in mir, im Raum.“ (a.a.O. S. 10)
Leo Zogmayer arbeitet aktuell auch an mehreren Kirchenraumgestaltungen, etwa in Frankfurt/M. oder in Augsburg. Das Kennzeichen seiner kirchenraumbezogenen Arbeiten würde ich in zweifacher Hinsicht benennen. Zum einen erweckt er den Raum zum Eigentlichen, bringt ihn bei historischen Gebäuden seiner ursprünglichen Gestalt bei Neubauten seiner Raumaussage näher und zum anderen erlaubt er sich und seinem Bauherrn bzw. Auftraggeber wenig Kompromisse. Das ist zwar für beide Seiten niemals einfach, aber doch von der Sache her gedacht ehrlich, konsequent und richtig.

 

Wort-Bilder

Ähnlich verhält es sich mit seinen Wort-Bildern, auf die ich nunmehr etwas näher eingehen will. Wie schon der Text im Einladungsflyer, er stammt von dem Philosophen und Religionswissenschaftler Karl Baier aus Wien, berechtigterweise feststellt, geht es Leo Zogmayer bei seinen Wort-Bildern nicht um „das Zusammenspiel von räumlich-grafischen und verbalen Semantiken in räumlicher Poesie …, sondern (um) die schlichte Präsenz von ersten Worten“.
Einem Theologen wie mir kommt dazu der Prolog des Johannes-Evangeliums in den Sinn: „En archä en ho logos“, was wir mit „Im Anfang war das Wort“ übersetzen. Diese – und ich spreche jetzt mit Rudolf Bultmann – „Ouvertüre“ (a.a.O. S. 1) des Evangeliums ist als Lied der Gemeinde angesehen worden und erst vom gesamten Evangelium her zu verstehen. Bultmann sagt auch: „Der Form nach ist der Prolog ein Stück kultisch-liturgischer Dichtung; schwankend zwischen Offenbarungsrede und Bekenntnis.“ (a.a.O. S. 2) Doch kommen wir zurück zum Logos, dem Wort, das erst aus dem vollständigen Evangelientext verständlich wird: Im Gekreuzigt-Auferstandenen, dem aus dessen Seitenwunde Blut und Wasser fließt, ist uns Gottes Präsenz in der Welt zugesagt – in Taufe und Eucharistie begehen wir dies, stets von Neuem und immer wieder.
Natürlich erinnern wir uns auch daran, dass der Beginn des Ersten Testaments, des Buches Genesis, mit „Berechit bara …“, das heißt auch mit „Im Anfang war …“ beginnt. Und, wiederum mit Bultmann gefolgert, „wenn in Gen 1 auch nicht substantivisch vom Wort Gottes die Rede ist, so wird doch durch das ‚Gott sprach‘ die Schöpfung auf Gottes Wort zurückgeführt. Ist also der logos aus der alttestamentarischen Tradition vom Wort Gottes zu verstehen?“ (a.a.O. S. 6) Bultmann beantwortet diese Frage mit einem klaren Nein, weil der Logos, von dem in Joh 1,1 die Rede ist, „nicht jeweiliges Ereignis in der Welt ist, sondern ewiges Wesen, das von Urbeginn bei Gott ist.“ (a.a.O. S. 7)
Dies ist nicht zuletzt eine theologische Aussage, über die ich im Folgenden nicht weiter sprechen will. Mich interessiert vielmehr die Frage, inwieweit dieses Urbild des Wortes, das am Beginn, ja von urher vor uns steht, uns etwas in Bezug auf die Arbeiten von Leo Zogmayer zu sagen hat, inwieweit es uns zu einem vertieften Verständnis verhelfen kann.
Es handelt sich hier bei Leo Zogmayer meines Erachtens nicht um „erste Worte“ in dem Sinn, dass ein Kind etwas erstmals sagt. Es entdeckt ja nicht die Welt in dem Moment, in dem es einen Menschen (Mama oder Papa) oder ein Ding zum ersten Mal benennt. Das alles ist um es herum, es ist schon vielfältig da, aber für die Umgebung eben noch nicht verständlich. Das Brabbeln eines Kindes hat mehrere Dimensionen; es ist so etwas wie Kontaktnahme, Zeichen von Zuneigung oder eventuell auch Langeweile; es handelt sich um eine Art von Mitteilung oder auch einfach nur um dessen Suche nach Aufmerksamkeit. Und natürlich ist die Umgebung eines Kindes von dessen ersten Worten begeistert und gefangen. Das ist menschlich alles nachvollziehbar.
Wenn ich Leo Zogmayers Arbeiten, seine Wort-Bilder sehe, sagen und zeigen sie uns aber etwas gänzlich anderes. Es sind keine Zufallsfunde oder spontane Eingebungen, die ihn zu seiner Auswahl führen. „Es handelt sich … um mit den Mitteln der Kunst in ihrer Er(n)sthaftigkeit ans Licht gebrachte Wortereignisse.“ (K. Baier)
Nehmen wir „RYOANJI“ – zuerst werden sich viele fragen, was das denn heißen oder bedeuten soll. Wer wie Leo Zogmayer häufiger im fernen Osten war oder zumindest all diejenigen, die eine Affinität zu Japan und seiner Gartenkunst haben, können ihnen zumindest sagen, dass es sich um einen Tempelbezirk und in sonders um dessen Steingarten handelt. Und es ist nicht irgendein Steingarten, sondern Ryoan-ji, der ‚Tempel zum friedvollen Drachen‘, ist der älteste auf uns überkommene Steingarten Japans, er ist sozusagen das Urbild aller steinernen Gärten. Er liegt im Nordosten Kyotos, der mittelalterlichen Kaiserstadt Japans, und stammt in seiner Grundanlage vom Ende des 15. Jahrhunderts. Wer ihn angelegt hat, ist bis heute nicht sicher. Die These, es seien einige Kawaramono, die ersten professionellen japanischen Gartenarchitekten gemeinsam mit einigen Zen-Mönchen gewesen, hat einiges für sich. „Der Garten hat eine Grundfläche von etwa 340 Quadratmetern. Seine Neuheit und Einzigartigkeit in der Gartenkunst … besteht darin, daß diese Fläche vollkommen frei ist. Abgesehen von ein wenig Moos am Fuß der fünfzehn Steine, die in diese freie Sandfläche hineingesetzt sind, findet sich keine einzige Pflanze.“ Dies wird in späteren Jahrhunderten zum Klischee; es gibt seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zahlreiche Nachbildungen, auch in Europa. „Beim Ryoan-ji sind fünfzehn Steine in die freie Fläche aus geharktem Sand in drei Gruppen von jeweils sieben, fünf und drei Steinen gesetzt.“ Von den zahllosen Erläuterungen, die erklären wollen, was dies genau zu bedeuten hat, bin ich mit Günter Nitschke, dem Autor eines grundlegenden Werkes zur Japanischen Gartenkunst einig; er meint, die Lösung des Rätsels am ehesten in einer Zen-Meditationstechnik zu sehen, nämlich darin sich zum Meditieren auf einen Punkt konzentrieren zu sollen (Nitschke, a.a.O. S. 100).
Das können Sie auch heute noch erleben oder nachexerzieren, allerdings nur, wenn Sie zeitig aufstehen und in aller Herrgottsfrühe dorthin fahren. Nur dann haben Sie die Möglichkeit, diesen Ort als eine Stätte der Ruhe und des Rückzugs, der Meditation und des In-Sich-Gehens auch erleben zu können. Den Rest des Tages teilen Sie sich die vom ehemaligen Priesterhaus an zwei von vier Seiten zugängliche, abgetreppte Veranda um den rechteckigen Garten mit ganzen Horden von Touristen – und von Ruhe und Besinnung kann da keine Rede mehr sein.
RIOANJI – das Wort-Bild kann das alles evozieren; oder auch nur – hier im Sinne einer Konzentration auf das Wesentliche nicht reduzierend oder einschränkend gemeint – den Gedanken oder die Erinnerung an einen besonderen Ort.
Ich gestehe gerne ein, dass ich beim Atelierbesuch in Wien, den ich vor einigen Wochen machte, Leo Zogmayer gebeten habe, dieses Bild in die Ausstellung mit aufzunehmen. Es erinnert mich nämlich an einen meiner tiefsten Eindrücke im Rahmen einer an spannenden bis spektakulären Reiserlebnissen wahrlich gesättigten Japanexkursion, die ich vor wenigen Jahren gemeinsam mit Studierenden und Professoren der Technischen Universität Darmstadt unternommen habe. Und es hat durch das ungeheuerliche Erdbeben in Japan eine nicht vorhersehbare und eigene Form von Aktualität bekommen.
Ähnlich verhält es sich mit weiteren Wort-Bildern. „Lk 17,21“, so heißt die Gestaltung der St. Andreas-Kirche in Mitterkirchen, sagt uns christlich sozialisierten Menschen allen etwas. Hier wird ein Bibelvers zitiert, doch – fragen Sie sich jetzt auch gerade, welcher das ist? Das Zentrum dieses Verses, einer Rede Jesu an die Pharisäer, lautet: „Das Reich Gottes ist (schon) mitten unter euch.“ (hier nach der Einheitsübersetzung wiedergegeben) Aber auch das gleich in mehreren Sprachen zu findende Wort „JETZT“ hat den biblischen Bezug des Kairos, der Stunde, die gekommen ist und die in eine vom Geist des Herrn erfüllte Zukunft weist, nach Lk 17,21 ist das Himmelreich eben jetzt schon unter uns.
Oder „TWO THOUSEND YEARS“, wer von uns denkt da nicht an den Ursprung des Christentums zurück?
Das sind keine nur irgendwie zufällige oder „einfach so!“-Bezüge zum Christentum. Er holt sie auch nicht speziell für die Katholische Akademie aus seinem großen Fundus hervor, weil sie hier vermeintlich gut ankommen werden. Nein, dies sind Wörter, die in ihrer Nennung, eine Art „Ersthaftigkeit“ (K. Baier), ein Konzentrat der Ideen und Überlegungen des Künstlers Leo Zogmayer vor uns ausbreiten und uns sehr tief in ihn und seine Gedankenwelt hineinsehen lassen.
Wir finden aber auch kleine Sentenzen in seinen Wort-Bildern. Nehmen wir diejenige, die der Ausstellung den Titel gegeben hat: „IF YOU CELEBRATE IT“. Es ist die Erinnerung an John Cage, der im Jahr 1966 nach einer Probe der Merce Cunningham Dance Company beim Betreten eines Restaurants an der Champs Elysées auf die Frage, worin der Unterschied zwischen gewöhnlichem Türöffnen und dem Türöffnen als künstlerischer Aktion bestünde, die einfache und bestechende Antwort gab: „If you celebrate it, it’s art; if you don’t it isn’t.“
„EINEN BLITZ BEWOHNEN“ wiederum ist ein Zitat aus einem Gedichtband von René Char oder „IS THIS JOURNEY REALLY NECESSARY?“ soll während des 2. Weltkriegs über allen Schaltern an Bahnhöfen gestanden haben; zumindest berichtet das der Philosoph Ludwig Wittgenstein.
Nun gehen wir einmal davon aus, dass der Künstler selbstverständlich der deutschen bzw. englischen Rechtschreibung mächtig ist und sich etwa bei „FOR GET“ von der Idee zur Ausführung des Kunstwerks kein wie auch immer gearteter Umsetzungsfehler eingeschlichen hat. Dann werden wir gewahr, dass er es just auf diese Desorientierung, auf unser Nachdenken, anlegt. Erst durch den Betrachtenden des Kunstwerks wird dieses zu einer bestimmten Art von Leben erweckt. Wenn es dabei Überlegungen beim Rezipierenden auslöst, dann hat es zuerst schon einmal viel erreicht.
Und zugleich stehen sie auch dafür, uns aus unserem alltäglichen Trott herausholen zu wollen. Sie wollen anecken, hinterfragen, zum Nachdenken anregen. Selbst wenn Sie solch einer Arbeit im Museum begegnen, können Sie nur schwerlich unbedacht daran vorübergehen. Zumindest einen Blick werfen Sie darauf und das Wort, das Sie lesen, löst bei Ihnen etwas aus.

 

Meditationsbilder

Es würde hier zu weit führen, über Leo Zogmayers Skulpturen oder auch seine Arbeiten im öffentlichen Raum zu sprechen. Sie sind in zahlreichen Ausstellungen, die ab 1984 verzeichnet und von einer großen Zahl an Katalogen begleitet sind, festgehalten. Hinweisen will ich aber doch auf die Ausstellung mit dem Titel „Sedes: Der Sitz der Gemeinde“, die im Dommuseum Frankfurt am Main 2002 gezeigt wurde und die seine Möbelentwürfe für Sakralräume vorführte. Für seine ersten Kirchenausgestaltungen entwarf er nämlich auch jeweils ortsspezifische Stühle. „Aus ergonomischer Sicht unterstützen die Stühle aufrechtes Sitzen. Man sitzt ähnlich wie auf einem Hocker. Der Rücken erhält mittels einer niedrigen Lehne eine leichte Stütze im Lendenwirbelbereich (Aschaffenburg, Bonn, Wilten) oder ein hochgezogener Bügel gibt der Balance des Oberkörpers halt (Brüssel).“
Inzwischen werden seine Stühle auch von Gemeinden angefordert, die gar nicht mit ihm als ausführendem Künstler zusammenarbeiten. So stehen beispielsweise in der Ebracher Pfarrkirche ein große Zahl seiner Stühle; trotzdem er den Ausführungsauftrag nicht erhalten hat.
Zumindest einen Gedanken möchte ich auch noch zu seinen Meditationsbildern, zu denen für mich seine Wort-Bilder selbstverständlich ebenso zählen, hinzufügen. Mit Hermann Kern, der in den 1970er und 1980er Jahren dem Kunstraum München vorstand und der dann das Haus der Kunst leitete – von ihm ist etwa die Ausstellung „Labyrinthe“ dort zu sehen gewesen –, und der zum Münchner Katholikentag des Jahres 1984 eine Ausstellung mit dem Titel „Mystik und Abstraktion“ plante, die leider nicht verwirklicht wurde, will ich im Blick auf Leo Zogmayers abstrakte Arbeiten das Folgende festhalten:
„Wenn ein Künstler sich von der Welt der äußeren Erscheinungen abwendet, um sich mit der Notwendigkeit der inneren Gestalten zu beschäftigen, so kann dies im geschilderten Sinn als Rückbesinnung auf Primäres gesehen werden, also als Abkehr von materialistischer Denk- und Sehweise zugunsten der dynamischen, formschaffenden, primären inneren Welt. Also Besinnung auf Wesentliches und insofern schon Akt der ‚Einkehr’, der Konzentration im Sinne mystischer Vorstellungen: ‚Schau’ als Klärung, Erleuchtung, als Konzentration auf Wesentliches, anstelle von beliebig-alltäglichem Sehen, das anderweitigen Interessen untergeordnet ist.“
Das, was Hermann Kern hiermit im Blick auf seine Ausstellungsidee, die Gegenüberstellung historischer Arbeiten aus dem fernen Osten und zahlreicher Meisterwerke des 20. Jahrhunderts, zusammenfasst, klingt für mich (zumindest zum allergrößten Teil) wie eine Umschreibung derjenigen Werke Zogmayers, die ich mit Meditationsbilder umschreiben möchte. Wenn Leo Zogmayer Worte zusammenstellt oder auch, wenn er noch weiter reduziert mit wenigen Zeichen arbeitet, einer Art Wolke, einigen waagrechten Strichen oder einem schwarzen Feld bzw. Kreis im Bild, dann gibt es nicht mehr sehr viel mehr Möglichkeiten der Reduktion oder – mit Hermann Kern gesagt – dann gleicht das nicht nur, dann ist das eine „‚Schau’ als Klärung, …als Konzentration“! (a.a.O. S.70

Zum Abschluss will ich noch auf die Fensterinschrift zu sprechen kommen:
„DARÜBER KANN MAN / MAN MUSS NICHT / REDEN SCHWEIGEN WOVON“
Es kommt einem irgendwie bekannt vor und zugleich gibt es einem Rätsel auf. Man fragt sich sogleich, worüber man was machen kann, es aber anscheinend nicht tun muss. Dann fällt mir im Blick auf die dritte Zeile schnell die Sentenz „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ ein. Doch was bedeutet das Wovon, das ans Ende gesetzt ist?
In diesem Drei-Zeiler, einem japanischen Haiku ähnlich, einem Kurztext, der uns anregen soll, tiefer in eine Sache hinein zu denken, steckt sicherlich mehr. Bevor ich jetzt jedoch zu sehr ins philosophische Dilettieren entschwinde, will ich nur noch eine Beobachtung wiedergeben. Wenn Sie es nochmals lesen, wird Ihnen auffallen, dass die Wörter hier nicht willkürlich nacheinander gesetzt sind, sondern eines nach dem anderen in alphabetischer Reihenfolge steht.
Das ist der Schlüssel zum Verständnis. Hier ist nämlich ein vielfach zitierter Satz wiedergegeben – allerdings in dem eben beschriebenen Sinne verändert. Es handelt sich um Ludwig Wittgensteins berühmten Schlusssatz in seinem „Tractatus logico-philosophicus“, der „Logisch-philosophischen Abhandlung“. Er lautet im Original: „Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“
Hieran anschließend will ich jetzt nicht irgendwie ausholen und die Philosophie Wittgensteins erläutern versuchen; dazu sind andere viel berufener.
In der vorliegenden, der von Leo Zogmayer veränderten Variante hat diese Sentenz aber doch etwas, was einem Haus wie der Katholischen Akademie in Bayern nicht schlecht zu Gesicht steht: Man kann hier im Hause über vieles reden – das ist gut so und sehr notwendig. Es gibt aber auch Dinge, vor denen der Mensch verstummt. Und dann ist es vielleicht gut, dass man sich gewahr ist, dass man eben auch nicht alles bereden kann oder schon gar nicht zerreden muss.
Leo Zogmayers Kunst lädt uns ein, ihr – und damit auch uns selbst – nachzudenken, ihr – und damit den grundlegenden Fragen unserer Zeit – nachzugehen. Sie fordert uns geradezu heraus. Lassen wir uns anregen von seinen Wörtern oder Kurztexten, lassen Sie Ihren Gedanken, Bildern und Ideen freien Lauf.

 

Benutzte Literatur:
Rudolf Bultmann, Das Evangelium des Johannes. Berlin 1963
Hermann Kern, Kunst als Gestaltung des Gestaltlosen, Katalog Expansion, Biennale 79. Wien 1979
Günter Nitschke, Gartenarchitektur in Japan. Köln 1991
Raumlichtung. Die Neugestaltung der Kirche Maria Geburt in Aschaffenburg. Münster 2000
Laetitia vacui – nichts als freude. Maria Geburt Aschaffenburg. Lindenberg i. A. 2009
Leo Zogmayer, Keine Inszenierung von Ferne, in: Communio-Räume. Regensburg 2003, 161-176

 

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