Darüber kann man man muss nicht reden schweigen wovon

Das ist der text test …..

Die Welt, wie sie ist

Karl Baier: „Die Welt, wie sie ist:“ das ist eines jener „ersten Worte“, die einfach, fast zu einfach und rätselhaft zugleich klingen und die – je nachdem, wer sie hört – ganz unterschiedliche Gefühle, Bilder, Fragen und Einsichten anstoßen.

Ich möchte unser Gespräch damit beginnen, dass ich erzähle, was mir zunächst dazu einfällt. Ich frage mich, was hier wohl mit „Welt“ gemeint sein kann. Ist Welt „alles, was der Fall ist“, wie es der frühe Wittgenstein wollte? – die Gesamtheit der feststellbaren Fakten? Ich vermute, dass du nicht die so verstandene Welt im Sinn hast. Dies ist ja auch nicht die Welt, mit der wir es als Menschen und schon gar nicht als Künstler primär zu tun haben. Wittgenstein selbst sagt am Ende seines Tractatus, dass wenn alles, was man über die Fakten sagen kann, gesagt ist, die wahren Fragen des Lebens noch gar nicht berührt sind.

Leo Zogmayer: Die Welt lässt sich ja auch schwerlich in einem Traktat fassen. Traktieren wir sie also nicht.

Wenn wir die Fakten nicht fest stellen, sondern frei lassen und wenn wir uns nicht einbilden, wir könnten das Weltspiel von außen beobachten – „überfliegen“, wie der junge Wittgenstein, den du zitierst, noch meinte – kommen wir der Sache vielleicht näher. An sich sind wir ihr ja schon nahe. Sehr nahe. Wir können uns der Welt ja gar nicht entziehen. Vielleicht gelingt uns eine Art intrinsischer Betrachtung, dass wir nicht so sehr über Fakten reden und urteilen. Eventuell fallen dann auch gleich noch ein paar Antworten ab – zu den „Fragen des Lebens.“

KB: In welcher Welt haben diese Fragen denn ihren Ort? In der Philosophie unterscheidet man den gerade angedeuteten kosmologischen Weltbegriff – Welt als Gesamtheit alles Seienden – von der Lebenswelt. Mir gefällt dieses Wort „Lebenswelt“: die Welt, in der wir leben. Das ist kein Haufen von Fakten, sondern ein Zusammenhang bedeutungsvoller Situationen, die wir zu bewältigen haben, in denen wir unser Leben miteinander verbringen. Im Grunde gibt es von dieser Welt nur eine intrinsische Betrachtung, denn wir stehen ihr nie gegenüber, sondern sind in ihr drinnen wie der Fisch im Wasser.

LZ: Wenn wir die bedeutungslosen Situationen auch mit hereinnehmen, die übersehen oder vergessen oder noch nicht wahrgenommen wurden – dann wäre die Welt, von der ich gerne mit dir reden würde, schon ganz gut bestimmt. Lebenswelt hast du gesagt. Also gut, reden wir von Lebenswelt. Ich könnte die beiden, Welt und Leben, auch gar nicht gut auseinanderhalten.

KB: Ich auch nicht. Der Bezug zur Welt ist nicht etwas, das zu unserem Leben sekundär hinzukommt. Zu leben heißt gar nichts anderes als im Weltbezug da zu sein. Die Lebenswelt ist ein mehr oder weniger offener und ständig sich mit uns wandelnder Horizont, innerhalb dessen wir leben und uns bewegen. Das bringt mich zur zweiten Überlegung: was bedeutet denn „wie sie ist“ in der Formulierung „Die Welt, wie sie ist“? In welchem Sinn ist hier von „ist“, d.h. von einem Sein der Welt die Rede?

LZ: Ist-Welt und Seins-Welt sind für mich nicht dasselbe! Freud hat einmal gesagt, dass eine Beobachtung in dem Moment verschwindet, in dem wir beginnen, sie zu verarbeiten. Ist nicht jede Seinslehre nur ein Beobachten und Verarbeiten ontologischer Themen, wodurch das, was geschieht, das „ist“, wieder zum Verschwinden gebracht wird? Vielleicht braucht es wegen dieses Dilemmas neben einer systematischen, akademischen Philosophie die Kunst und essayistisches, spielerisches Philosophieren. Ist das Wortspiel frisch, bewegt es sich sozusagen authentisch im „ist“ der Welt. Da sind die Weltberührungsstellen noch nicht abgegriffen, noch nicht vergriffen. Das Problem liegt im nächsten Schritt. Wenn wir die Welt, wie sie ist beleuchten wollen, müssen wir darauf achten, dass wir sie nicht mit vorgefertigten Motiven überfahren. Dann nämlich gibt es kein „ist“ der Welt mehr, sondern wir modellieren nur mehr an mimetischen Konstrukten, an Second Lives herum. Deshalb brauchen wir Kunst – um Weltbilder zu lockern. Dass das Maschenwerk der Gedanken und Zeichen durchsichtig und von Zeit zu Zeit auch wieder ganz aufgetrennt wird. Die Herausforderung heißt also reden, ohne Reden zu halten, malen ohne feste Bildformate zu erzeugen usw. Am schönsten hat das für mich Marguerite Duras ausgedrückt. Sie sagte einmal, wenn Kunst – und das heißt bei ihr natürlich Schreiben – nicht ein flüchtiges Sprechen in den Wind ist, dann ist sie nichts, dann ist sie nichts weiter als Werbung.

KB: Da ist etwas Wahres dran. Natürlich birgt ein Diskurs über das Sein, gerade wenn er in akademischen Formen und d.h. in objektivierender Sprache daher kommt, eine Reihe von Gefahren in sich. Darüber haben wir ja schon öfter gesprochen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass wir abgegriffene Vorstellungen davon im Kopf haben, was es denn bedeutet, dass etwas ist. So identifiziert man z. B.: die Welt, wie sie ist und damit alles, was in ihr vorkommt, gerne mit dem, was an ihr wirklich ist. Dieses Wirkliche an der Welt umfasst dann das, was zufällig so ist, wie es gerade ist und darüber hinaus das, was unabänderlich so ist wie es ist, das Notwendige. Die Welt so, wie sie ist, heißt dann nicht mehr als die herrschenden Verhältnisse. Nun gehört zwar zur Welt, wie sie ist, unbestreitbar das, was an ihr wirklich ist, ebenso wie das, was an ihr notwendig ist. Die Relevanz von beidem geht uns aber erst richtig auf im Licht der Welt, wie sie möglich ist. Möglichsein ist ein Seinsmodus. Die Welt,wie sie ist,  beinhaltet deshalb alles, was aus ihr werden kann, die Welt im vollen Potential ihrer unausgeschöpften Möglichkeiten. Hat nicht Musil einmal gesagt, wenn es einen Wirklichkeitssinn gibt, muss es auch einen Möglichkeitssinn geben? Um die Welt, wie sie ist, zu erfahren, brauchen wir so einen Möglichkeitssinn.

LZ: Nur, wie kommen wir heran an dieses Potential? Oder was hindert uns, die unausgeschöpften Möglichkeiten zu sehen und zu nutzen? Vielleicht zu viel Voreingenommenheit. Der kulturelle Apparat, den wir geschaffen haben, fasziniert uns so sehr, dass wir viel von dem übersehen, was möglich wäre, was sich anbieten würde, es zu mögen. Die Welt wird permanent traktiert, sie würde aber vielleicht auch gerne geliebt werden.

KB: Ein Ding, einen Mensch oder die Welt mögen, bedeutet ja, sie sein zu lassen und sie damit in den Möglichkeitsraum zu rücken, ihnen eine offene Weite zu geben, in der sie möglichst unbeeinträchtigt in Erscheinung treten können. Wir können der Welt diese Weite geben, weil sie von sich aus ein offener Spielraum ist.

LZ: In einer vielleicht etwas waghalsigen Etymologie wurde einmal das lateinische mundus mit Mund in Zusammenhang gebracht. Welt nicht als festes, definierbares Ding, sondern als Öffnung, als potentielle Größe – als Loch. Ähnlich wie die Chinesen Dinge definieren oder eben nicht definieren. Das chinesische Wort für Ding, dong xi, bedeutet rückübersetzt „Ost – West“. Unglaublich! Oder? Hier wird das Ding als offene Figur ohne harte Konturen gesehen, in flüssiger, klingender Weite. Es kann sich da wie dort befinden. Oder dazwischen. Jedes Ding kommt auch von irgendwo her, ist in permanenter Veränderung, entfaltet sich in der Zeit, vergeht, hat ein Ablaufdatum. Würden wir die Welt als chinesisches Ding, als dong xi anschauen …

KB: Warte, warte! Jetzt schlägt wieder deine Sinophilie durch, die ich gut verstehe und doch nicht ganz teilen kann. Mir ist das ein wenig zu romantisch. Natürlich legt die Struktur des Chinesischen und die ursprüngliche Bedeutung seiner Zeichen bestimmte Denkmöglichkeiten nahe, die andere Sprachen so nicht haben. Die Frage ist aber, inwieweit diese Möglichkeiten ergriffen werden und den tatsächlichen Weltbezug prägen. Im alltäglichen Gebrauch sind viele der Bedeutungseigenheiten, die man beim Studium einer (fremden) Sprache mit Staunen entdeckt und hervorhebt, ja ganz abgeschliffen. Und eines kommt noch hinzu: Warum fällt uns gerade dies und jenes an einer anderen Kultur besonders auf und anderes nicht? Oft deshalb, weil wir mit etwas in unserer Kultur, z. B.: mit einer bestimmten Weise die Dinge zu verstehen, unzufrieden sind. Das allein reicht in der Regel aber nicht aus. Meist kommt noch hinzu, dass in der eigenen Kultur schon welcome structures existieren; Ansätze, die dem Denken der anderen Kultur entgegenkommen, Konzepte, die in eine ähnliche Richtung gehen. Ein Denken der Dinge als offene Figuren und ereignishafte Prozesse, dafür gibt es Beispiele in der neueren westlichen Philosophie in Richtungen, die einen bestimmten traditionellen Substanzbegriff kritisieren, wie etwa die Prozessphilosophie und die Philosophie des Dings beim späten Heidegger. Oder denk nur an das Konzept des offenen Kunstwerks, das im 20. Jahrhundert so wichtig wurde und das auch für deine Arbeit von Bedeutung ist. Wer von diesen Strömungen beeinflusst ist, dem sagt der chinesische Ausdruck dong xi natürlich etwas.

LZ: Du hast gewiss recht mit deinem Einwand, dass auch bei uns gelegentlich „chinesisch“ gedacht wurde und wird. Heidegger hat ja vorgeführt, wie Sprache mittels Sprache entsperrt werden kann. Doch jede Aussage, die feste Substanzen in Frage stellt, müssen wir gegen den Widerstand des Betriebssystems „Abendländische Sprache“ erstellen. Fernöstliche Sprachen sind eher free ware, unsere Sprachprogramme sind enger gestrickt. Das ließe sich bis ins Grammatikalische und Syntaktische hinein belegen. – Weil du das Verhältnis sprachbasierter Denkoptionen zum Alltag, zum tatsächlichen Weltbezug ansprichst: in China grüßt man nicht wie bei uns mit „Wie geht es?“. Wir reflektieren das nicht, doch die Frage baut doch auf eine ziemlich elaborierte Abstraktion auf. Chinesen stellen in solchen Situationen eine andere, „lebensweltlich“ konkrete Frage: „Ni chi fan le ma?“, das heißt: „Hast du schon gegessen?“ – Ich glaube, die Chinesen haben die besseren Karten. Und sie sind gerade dabei diese auszuspielen. Die Asymmetrie der ökonomischen Verhältnisse ist keine ausreichende Erklärung für den Erfolg Ostasiens. Der liegt, glaube ich, wirklich in einer fundamental anderen Weltsicht begründet. Chinesen sind Meister der Improvisation, flexible Pragmatiker. Man übt sich permanent darin, das Potential der aktuellen Situation zu nutzen, die „Neigung der Dinge“ zu beobachten und dieser zu folgen, statt sich dogmatisch auf vorgefasste Modelle zu fixieren. – Jedenfalls lohnt sich ein „Umweg über China“, wie ihn der französische Philosoph Francois Jullien empfiehlt. Anderseits stellt sich natürlich die Frage, ob die Emerging Markets des Fernen Ostens den Spielraum, den die traditionellen asiatischen Lebensperspektiven bieten, nicht bereits überdehnt haben und bald ganz dem westlichen Modell verfallen. Das wäre schlimm. Es ist an der Zeit, die Qualitäten beider Sehweisen zusammenführen. Das sollte heute wirklich eines unserer großen Themen sein. Stattdessen diskutieren wir über Kopftücher …

KB: Ich möchte jetzt von dieser spannenden Entwicklung in der heutigen Welt nochmals auf einen allgemeineren Aspekt unseres Themas zurückkommen. Für dich besteht ein besonderer Bezug zwischen der Kunst und der Welt, wie sie ist. Oder liege ich da falsch?

LZ: Es gibt einen elementaren Traum, eine Sehnsucht, die Kunst und Künstler antreibt: die Welt zu sehen wie sie ist, im Original, nackt, nicht als mimetische Kopie – und sie zu feiern, hätte John Cage hinzugefügt: „If you celebrate it, it’s art.“ In der Kunst geht es also gar nicht darum, etwas Außerordentliches zu kreieren, es geht um die außerordentliche Wahrnehmung, um eine Wahrnehmung außerhalb der Ordnungen, die uns als Kanon kultureller Kohärenzen, als verbindliche Wahrnehmungskonventionen verordnet werden. – Wir tun uns heute insofern etwas hart mit dem Thema, als wir in den letzten Jahrzehnten so viel über den sensorischen Komplex, würde ich jetzt einmal sagen, erfahren haben. Und jetzt erklären uns die Hirnforscher, wie die Welt funktioniert …

KB: Ja, viele glauben, die Welt sei ein Konstrukt, das im Gehirn entsteht. Wenn die Welt im Gehirn ist, bleibt allerdings noch eine schwierige Frage zu beantworten: wo ist dann das Gehirn? Aber selbst wenn man nicht so einen hirnigen Materialismus predigt, sondern von der Welt als soziales oder kognitives Konstrukt redet, erweckt das bei mir den Eindruck einer Verabsolutierung des Anteils, den der Mensch mit seinen Konzeptionen am Erscheinen der Welt hat. Nachdem sich soziale, philosophische und kulturelle Strömungen schon seit einiger Zeit am liebsten als Post-Irgendwas definieren (postmodern, postkolonial, poststruktural etc.), wäre es eine gute Idee mal den philosophischen Postkonstruktivismus auszurufen und sich zu erinnern, dass Konstruieren nicht unser primärer Bezug zur Welt ist und dass auch unsere Konstruktionen schon Antworten auf eine Welt sind, die uns anspricht. If you celebrate it. Mhm. Die Welt, wie sie ist. Wir verstehen diesen Ausdruck sehr leicht im Sinn eines prosaischen Aussagesatzes: „So ist die Welt.“ Doch setzen wir zu Übungszwecken ein Ausrufezeichen dahinter: Die Welt, wie sie ist! Wie klingt das?

Man kann es als Ruf auffassen, – als Aufruf, der Welt gerecht zu werden, als staunender Ausruf, der sich darüber wundert, dass es sie überhaupt gibt oder eben als Lockruf, als Einladung, ihr Sein zu Feiern. Ich erfahre immer wieder, dass gerade große Kunstwerke den Sinn für die Welt im Kleinen wecken. Dass die kleinen, vorübergehenden, staubigen Dinge auf einmal zu leuchten beginnen. Im Feiern schwingt aber auch immer mit, dass das Fest ein Ende hat. Die Kostbarkeit der Welt, dass sie uns nur für eine Weile gegeben ist. Wir sind zu ihr gebracht worden und werden sie wieder verlassen. So richtig feiern kann die Welt wohl nur, wer sie loslassen kann. Was bedeutet das für die Kunst? Du hast ja einmal geschrieben, Kunst, wenn sie echt ist, sei eine Nahtoderfahrung. Was meinst du damit?

LZ: Immer wenn mich Kunst richtig erwischt, erlebe ich mich in eine ungleich vitalere Welt, sozusagen in die wirkliche Wirklichkeit versetzt. Ich vermute, dass Ludwig Wittgenstein, den wir schon mehrmals strapaziert haben, genau das meint, wenn er vom Künstler als Realisten redet, der uns nicht in einen schönen Traum einwiegen will, sondern „die Welt dadurch erlöst, dass er sie sieht, wie sie ist.“ Kunst kann ähnlich einer Nahtoderfahrung bisherige Weltdeutungen außer Kraft setzen. Wie nach einer Apokalypse sieht die Welt plötzlich ganz anders aus. Apokalypse heißt ja wörtlich Enthüllung. Das wäre wohl die Antwort auf deine Frage nach dem Unterschied zwischen Kunst und sonstiger Weltsicht. Kunst schaut unter die Hüllen, hinter die Bilder. Ziel ist das bildlose Bild. Oder daoistisch: das Bild ohne Form. Ein Satz von Laozi beeindruckt mich immer wieder: Das große Bild hat keine Form. Der Satz ist für westliche Kunstdiskurse ziemlich unbrauchbar. Er funktioniert eher als Koan. Du weißt wie die Stelle im Daodejing weitergeht: Das große Quadrat hat keine Ecken …

KB: Worin besteht deiner Meinung nach die Besonderheit oder sagen wir die besondere Chance der Kunst der Moderne in Bezug auf die Welt, wie sie ist, oder sagen wir auf das eckenlose Quadrat?

LZ: Wenn wir die Moderne als Modus der Zeitsprengung und nicht so sehr als eine historische Epoche, nicht als die jüngere Antike sehen, lässt sich ihr Potential erahnen, das sich gar nie erschöpfen kann. Ein Gutteil der Postmoderne-Diskurse denkt ja an der Radikalität der Moderne vorbei. Ich zitiere gerne eine Zeile aus einem Gedicht von René Char: „Wenn wir einen Blitz bewohnen …“ Das ist die Moderne. So gesehen erschließt die künstlerische, poetische Moderne die Welt, wie sie ist.

KB: Jetzt möchte ich doch noch mal den Kritiker in dir hervorlocken. Du gebrauchst den Begriff „Kultur“ gern als Bezeichnung eines Unternehmens, das der Kunst manchmal zum Verwechseln ähnlich sieht, aber im strengen Sinn nicht weltfähig ist. Wie meinst du das?

LZ: Die Fakultäten der Kultur – Politik, Religion, Wirtschaft, Wissenschaft – legen ihre Weltverbesserungsmodelle über den Rohstoff der Welt, bis dieser quasi unsichtbar wird. Das ist das Problem. Modellorientierte Kulturen wie unsere sehen nicht den Punkt, wo die Weltverbesserung ins Gegenteil umschlägt. Kunst setzt nicht die Weltverbesserung – etwa mit ästhetischen Tricks – fort, Kunst ent-bessert die Welt. Dass zum Vorschein kommen kann, was an ihr (noch) gut ist. Kunst ist mit Schauen und Hören beschäftigt, das ist ihre Recherche. Sie sucht das Bild vor den Bildern, entlarvt Tradition als Schlamperei, wie Gustav Mahler sagte. Dabei gerät sie in Konflikt mit der Kultur, mit „herrschenden Verhältnissen“, mit dem Establishment. Kunst sprengt Kultur weg. Das kann leise geschehen, mit simplen Gesten. Oder poetisch fein. Oder provokant, eruptiv, lautstark. Was die Kunst noch zu Tage fördert, ist der elementare Wert „Schönheit.“ Der Zusammenhang liegt auf der Hand und fügt sich in unser Thema: schön kommt von schauen. Und ich übersetze das Wort einfach mit sichtbar, was mit barer Sicht zu tun hat. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es das angeblich gar nicht, weil jede Weise des Sehens irgendwie gelernt wurde. Bares Schauen gibt es freilich nicht als etwas Isolierbares, das sich im Labor untersuchen lässt. Gleichwohl ereignet es sich. Ich bin überzeugt, dass das Schöne, das dabei aufblitzt, dieser schwer fassbare Mehrwert der Wirklichkeit, das Grundmotiv aller künstlerischen Bewegung ist.

KB: Tritt nicht ein Künstler mit dem Anspruch die Welt, wie sie ist, zu zeigen (wenn denn dies die Aufgabe der Kunst ist), als Erleuchteter auf? Als Priester einer Religion nach den Religionen?

LZ: Ich glaube nicht, dass es um einen Anspruch geht, dass da wer behauptet, etwas zu zeigen und zu machen, das anderen grundsätzlich nicht zugänglich ist. Das ist ein altes Missverständnis. Erleuchtung ist natürlich ein verdächtiges bis peinliches Wort. Obwohl es tatsächlich manche Künstler auch ganz entspannt in den Mund nehmen, Robert Ryman etwa oder Bruce Nauman, bei dem mich das gewundert hat. Trotzdem, wenn jemand die Welt genießt, wie sie ist, der Neigung der Dinge folgend, ohne den Anspruch zu erheben, sie zu verstehen oder sie eigenwillig verbessern zu wollen, weil er vielleicht seinen Weltaufenthalt etwas reduzierter anlegt als die meisten Zeitgenossen, einer der sagt: es ist genug. Möglicherweise nennen manche so einen dann erleuchtet. Kann schon sein.

Karl Baier, Leo Zogmayer

Wien, Juni 2011

Why China? / d

Seit ihren Anfängen verfuhr die chinesische Kultur anders als die übrige Welt: China schuf keinen Herkunftsmythos, überhaupt keine prägenden Narrative, entwickelte keine theistischen Phantasien, kein dominantes chronologisches Zeitdenken, somit keine Geschichte in unserem Sinn, keine Tradition der Mimesis, keine Ontologie … Chinesisches Denken und Handeln folgt nicht Ideen und Plänen – sondern orientiert sich an der Wirklichkeit selbst. Man beobachtet die Neigung der Dinge des Lebens und nutzt das Potential der Situation. Jedes Agieren erfolgt in Echtzeit und orientiert sich am aktuellen Stand der Wirklichkeit, nicht an vorgefassten Modellen oder Dogmen.

Die dieser Weltsicht entsprechende Zauberformel der Chinesen ist inzwischen auch im Westen als wu wei, ’nichthandelndes Handeln‘, bekannt, dessen Pointe darin liegt, dass man sich vom Strom der Wirklichkeit tragen lässt, anstatt sich auf Pläne und Konzepte zu versteifen, die ja nie schnell genug an den wirklichen Lauf der Dinge adaptiert werden können. Die vollständige chinesische Form heißt wu wei er wu bu wei – nichts tun, sodass nichts ungetan bleibt. Die daraus resultierende Wirksamkeit ist westlicher Intentionalität und Logistik in vielen Fällen klar überlegen.

Irgendwann fiel mir im Gespräch mit asiatischen Freunden eine zunächst paradox anmutende Affinität auf: China und (moderne) Kunst sind nahe Verwandte: Kunst argumentiert, analysiert nicht – sie zeigt (auf). Kunst folgt keiner verbindlichen, übergeordneten Grammatik. Im Vergleich zu begrifflichen Diskursen sind ihre Aussagen häufig weich und unscharf. Wie in der chinesischen Sprache! Das Chinesische, das gänzlich ohne Flexion auskommt, ist offener, spielerischer, fließender als die westlichen Sprachen. Was wir als Ding bezeichnen, heißt im Chinesischen dong xi , rückübersetzt so viel wie Ost-West. Das Ding ist hier kein Gegen-stand mit harten Konturen, der scharf begrenzt ist und an seinen Kanten endet. Es scheint kaum Substanz zu haben. Das Ding, jedes Ding, jeder Aspekt der Wirklichkeit wird eher als Prozess, als Bewegung, als offenes Potential gesehen. Das verheißt erhöhte Effizienz und – Poesie, selbst für die profanen Momente des Alltags.

Chinas Bilddenken ist weich, offen, anschmiegsam. Für den Westen unbegreiflich: im alten China darf Kunst sogar fade sein. Über einen längeren Zeitraum galt dan, das Fade, sogar als wichtige ästhetische Kategorie. Ein Literaturkritiker schrieb: Und wiederum zeigt sich, dass es am allerschwersten ist, ein Gedicht zu verfassen, das flach und fade ist. Das leise, ‚fade‘ Kunstwerk nimmt die Bewegungen des Lebens nicht vorweg. Es gefällt sich nicht in Inszenierungen, die sich vor das Reale stellen, um es zu übertreffen und zu verdecken, es öffnet vielmehr den Blick für das Wirkliche. Ist Kunst nicht grundsätzlich daran zu messen, ob sie die Welt verhüllt – das wäre ihr Scheitern – oder ob sie Leben bloß – frei lässt?

Why China?? fragte ein Freund, als er die Zitate und Anspielungen in meinen Bildern entdeckte. – Weil Kunst und China gewissermaßen siamesische Zwillinge sind.

PS
Ich behaupte nicht, dass sich die aktuellen Abläufe in China mit meinen Betrachtungen immer decken. Ich verstehe den Topos China auch eher als Metapher für eine Haltung, eine Denkweise, die nicht unbedingt auf Ostasien beschränkt ist. Es reizt mich, einen Blick durch die chinesische Brille zu versuchen, einen „Umweg über China“ zu machen, wie der französische Philosoph Francois Jullien es nennt – ehe die Chinesen selber vergessen, was sie so beweglich, so produktiv, so gelassen, so ungreifbar und so gerissen sein lässt.

LEO…. / d

Zum Stand der Kunst. Im Diskurs um das Begriffspaar Moderne/Postmoderne wurde unter anderem auch die Kunst einer gründlichen Revision unterzogen. Eine “gigantische Dekomposition des alten ganzheitlichen Wesens der Kunst und eine glänzende Bearbeitung und Reindarstellung der Momente des solcherart fraktionierten Feldes” sollte die Moderne gewesen sein. “Was zuvor zur Ganzheit eines Bildes zusammengetreten war, wird jetzt in seiner Partialität und Spezifität ausgearbeitet und vor Augen gebracht. Das reicht von der Konstruktion (Mondrian) über die Farbe (Rothko) bis zur Nuance (Girke), von Weiß (Zero) über Blau (Klein) bis Schwarz (Reinhardt), vom Alltäglichen (Schwitters) zum Kultischen (Beuys), vom Einmaligen (Opalka) zum Seriellen (Warhol), vom Irritierenden (Albers) zum Erhabenen (Newman) und über das Unsichtbare (Duchamp) und das Paradoxe (Magritte) wieder zurück zum Trivialen (Spoerri), und dann das ganze noch einmal vom Begriff (Kosuth) über das Medium (Paik) bis zum Rahmen (Viallat) und vom Künstler (Lüthi) über den Betrachter (Pistoletto) bis zum Kunstsammler (Haacke). Die moderne Kunst thematisiert all die Partialitäten, die mit der Auflösung der Gesamtheit hervortreten, arbeitet sie subtil und spezifisch aus und erprobt noch Facetten und Kleinstmöglichkeiten. Sie ist eine konsequente Entfaltung des Möglichkeitsfeldes der Kunst. Sie hat dessen Vielfalt zu einer veritablen Pluralität entwickelt. Sie ist eklatant polymorph.” (Wolfgang Welsch, Unsere postmoderne Moderne, Weinheim 1988, 193)

Wer die Dokumenta 1997 gesehen hat wird künftig auch unser liebes Hausschwein samt Familie und dazugehörendem Lebensraum zur Kunstszene zählen müssen und selbstverständlich auch Kochen und Bewirten sowie psychologische und medizinische Betreuung durch Ärzte und Schwestern und es ist abzusehen, daß weitere gesellschaftliche Bereiche und Disziplinen in Zukunft von der Szene erfaßt werden. Das wird so sein, weil immer deutlicher wird, daß wir in Lebensnetzen leben und alles in Zusammenhängen und dynamischen Prozessen existiert. Das erklärt das heutige Interesse am anschlußfähigen, nicht besonderten Kunstwerk, das sich zu größeren Netz-werken und Werknetzen, zu Komplexen, die der Komplexität “Leben” entsprechen, verknüpfen läßt. Deshalb interessieren Rahmenbedingungen, Kontexte und konkrete Situationen. Und deshalb arbeiten auch die jüngeren Starkuratoren wie Nancy Spector, Klaus Biesenbach, Hans-Ulrich Obrist heute nicht mehr als singuläre Größen, sondern sind eng vernetzt und halten E-Mail für unverzichtbar. Ständiger Dialog und viele sich wandelnde Teams bekunden das neue Interesse an einer “Verbandelung der Dinge”, der “Überwindung der Genregrenzen” und einer “Auflösung der angestammten Rollen”. (Den Künstler schütteln, ZEIT, 16.04.1998)

Wir leben in einer Zeit, in der durch Strukturdenken, Chaostheorie und Zeichentheorie die alten Kategorien von Stoff und Form, Träger und Bedeutung, Etwas und Nichts, Anwesenheit und Abwesenheit, Wert und unwert wegfallen. Jeder Träger ist Bedeutung und jedes Zeichen ist Träger. Deshalb ist die Holzspanplatte heute nicht mehr nur das billige Material mit dem die Rückseiten von Couchgarnituren aller Art unterfüttert werden. Vielmehr ist diese Spanplatte selbst schon ein Zeichen für unsere Art des Umgangs mit der gesamten Natur und es ist wie der Maler Reimer Jochims einmal gesagt hat: “Wenn ich ein Element wie die Spanplatte benutze, habe ich eine Entscheidung von gesellschaftlicher Tragweite gefällt. Die Spanplatte ist kein edles Material, sondern gehört, wie vielleicht kein anderes, dieser Zeit an und enthält die Katastrophendimension bereits im Material. Sie entsteht nicht erst in der Fabrik, sondern die Art und Weise, wie heute Bäume gepflanzt und groß gezogen werden, also unsere sogenannten Wälder, ist schon tendenziell Spanplatte.” (Frankfurter Rundschau, 20.02.1988)

Kunstwerke sind heute Teile von Kommunikationsstrukturen. Keine Dinge an sich. Vielmehr gebundene Beobachtungen, Weisungen, Möglichkeiten: ”Die Funktion der Kunst ist es, der Welt eine Möglichkeit anzubieten, sich selbst von ausgeschlossenen Möglichkeiten her zu beobachten.” (Baraldi u.a., GLU, Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, Frankfurt/M. 1997). Kunst kann dabei ständig Übersehenes und Übergangenes in Erinnerung rufen. Sie kann Nuancen gegen allzu grobe Unterscheidungen aufzeigen. Sie kann nicht oder noch nicht realisierbare Zustände vorwegnehmen. Sie kann kritische Distanzen schaffen und sie kann innerhalb unserer Welt einen Bereich von Möglichkeiten erzeugen, worin Selbstentfaltung wahrscheinlicher wird. Im Unterschied zu “Objektkunst” können wir das als “Weltkunst” bezeichnen.

Da es mehr um die Zustände von Welt geht, und weniger um einzelne Objekte, sind Dinge interessant, die offen sind, unfertig und, wie die gesündere Margarine, ungesättigt. Es sind Dinge, die den Stoffwechsel anregen, weil sie Löcher haben, rohe Seiten und freie Bindungsarme. Im Gegenstandsbereich sind das Halbzeuge, die erst durch einen kommunikativen Prozeß ihre eigentliche Form entfalten. Kommunikative Objekte gehören deshalb einer anderen Klasse von Wirklichkeit an. Sie sind nicht in einfacher Relation aufeinander bezogen, sondern verweisen auf einen Prozeß, durch den die Wirklichkeit um “eine Stufe wirklicher” erscheint (Sloterdijk, Medien-Zeit, Stuttgart 1993) .

Daß aber die bloße Bezogenheit noch keine Kommunikation ergibt hat zum Beispiel Luhmann ausführlich dargestellt (Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt 1997). Kommunikation kann nur funktionieren, wenn die Teilnehmer “von einem System höherer Ordnung abhängig werden, unter dessen Bedingungen sie Kontakte miteinander wählen können.” Die höhere Ordnung hat Ereignischarakter sowie einen umlaufenden Prozeß über den sich lose und fest gekoppelte Elemente als Medium und Form zugleich darstellen. Durch diese Virulenz der Kommunikation öffnet sich erst Raum, Form, Wahrnehmung usw.

Der Künstler geht also von einer Komplexität aus, die der Wirkungsweise des Lebens nahe liegt. Entsprechend begreift er Orte als Situationen und eine Wohnanlage beispielsweise als “urbane Faser”, die sich auf eine “neue Verflechtungsstruktur” hin untersuchen läßt. (Leo Zogmayer, Projektbeschreibung zum Projekt Kagran-West) . Kunst machen, Produzieren, Ausstellen bedeutet so gesehen: Generieren und Operieren in einem emergenten, hochenergetischen Medium.

Das Einbringen der künstlerischen Elemente spricht das System höherer Ordnung an und bringt die vorhandenen Sachen in einen momentanen Kommunikationszusammenhang. So entsteht eine temporäre Einheit aus einander gleichgestellten Partnern, -aus Lebewesen, Materialien, Dingen und Beziehungen. Das Kommunizieren befreit das Vorhandene aus den degradierten Zuständen des bloß Materiellen, bloß Dienlichen und Nützlichen und bringt es mit dem Menschlichen in einen Zusammenhang. So wird aus der unmittelbaren Umgebung etwas Sprechendes, Erscheinendes, sich Darstellendes. Die Objekthaftigkeit geht dabei über in einen medialen Zusammenhang und das Kunstobjekt im engeren Sinne fungiert als Kommunikator.

Daß diese Kommunikation gelingen kann muß allerdings eine andere Art des Objektseins vorausgesetzt werden. Ähnlich den gemalten Pixels bei Cézanne sind die einzelnen Werkstücke Bausteine, die ein größeres Kunstwerk evozieren. Deshalb ist auch hier ein Foto der Ausstellung kein Abbild sondern eine Erweiterung des generativen Prozesses. Die Werke sind so konzipiert, daß sie Böden, Wände, Türen und alles im Aufmerksamkeitsfeld befindliche mit einbeziehen und gleichwertig erscheinen lassen. Das ist eine Befreiung aus der gewohnt engen Blickpyramide. Die Kunst besteht hier darin, eine komplette Situation zu aktivieren und darin eine Ausgewogenheit. Sie besteht darin, den Blick nicht, wie üblich, an das Objekt zu fesseln, vielmehr freilassend, einarbeitend, klärend und entfaltend die reine Gegenwart zu ermöglichen.

Bekanntlich suchten die Künstler der Minimal-Art einen Ausweg aus der immer bunter gewordenen Mischung an Stilen und der avantgardistischen Ansätze der 50- und 60-Jahre: “Sie konstruierten einfache, undekorierte geometrische Objekte, die durch Symmetrie, das Fehlen des traditionellen Kompositionsschemas und die sparsame Verwendung von Farbe charakterisiert waren. Diese “einfachen Objekte” verstand man damals als Herausforderung für das Tafelbild der Moderne: Angesiedelt zwischen Malerei und Skulptur, zielte die Minimal-Art darauf ab, den Betrachter mit seinen eigenen Wahrnehmungsbedingungen, kulturellen Erwartungen und künstlerischen Werten zu konfrontieren. Zudem machten die Minimalisten industriell gefertigte, oft seriell verwendete Elemente endgültig salonfähig. (…) Man könnte sagen, daß Objekte der Minimal-Art von sich aus nichts ausdrücken, auf wenig verweisen und nur wenig suggerieren. Man könnte den industriell hergestellten Objekten nachsagen, daß sie per se stumm und unerklärbar sind. Zumindest laut ihrer ursprünglichen Intention beruhte die Minimal-Art auf der Anwesenheit des Betrachters. Der hatte allerdings einer abstrakten, neutralen Personifikation zu entsprechen, war gedacht als notwendiger Dialogpartner, mit dem das Werk erst vollendet werden kann”.

Eine weitere wichtige Errungenschaft der Avantgarde -Haltung war zudem die kritische Auseinandersetzung mit der Institution Museum selbst, die von Künstlern wie Daniel Buren oder Hans Haacke eigens thematisiert wurde. Das Museum wurde als beherrschende Macht vorgeführt, die alles “unterjocht, was darin gezeigt wird” (Brandon Taylor, Kunst heute, Köln 1995). Deshalb arbeiten Künstler und Kuratoren heute in den meisten Fällen die Institution mit ein. In Leo Zogmayer’s Werk ist das enthalten. Aber er radikalisiert, indem er sich von Anfang auf größere Situationen bezieht.

Es gibt in der klassischen japanischen Ästhetik einen Schönheitsbegriff, der im Gegensatz zur grellen, bunten und in den Vordergrund drängenden Erscheinungen eine Ästhetik der Askese, der Einfachheit, Schlichtheit und der verborgenen Harmonie bezeichnet. Diese Ästhetik ist eher “leise, zart und nachklingend” und läßt außer den dinglichen Werken auch das nicht-materielle Zusammengehören hervortreten. So entsteht ein “Zustand ohne Besitz”, worin nicht alles auf ein Subjekt zentriert ist. Das befreit.

Der Begriff “wabi” , der in der Teezeremonie eine große Rolle spielt und von Architekten wie Tadao Ando in der zeitgenössischen Architektur zu Weltruhm gebracht hat (Tadao Ando, GA Architect 8, Tokyo 1990) deutet einen existentiellen Bereich an, der “gleichsam irgendwo zwischen dem Wahrnehmbaren und dem Vor-Wahrnehmbaren oder dem artikulierten und dem nicht-artikulierten Ganzen anzusiedeln ist” (T.Izutsu, Die Theorie des Schönen in Japan, Köln 1988). Deshalb stehen die Werke in einem merkwürdig ambivalenten Zustand von “negativ und positiv, Dämpfen und Ermuntern, anti-expressiv und expressiv, dunkel-matt und strahlend-lebendig usw.” Ihre Beziehungsstruktur ist denn auch weniger eine kausal-lineare Abfolge vielmehr ein Netz von Wechselbeziehungen durch das die Koexistenz einer unendlichen Mannigfaltigkeit von Dingen und Ereignissen erscheinen kann.

Bei einem Spaziergang in Wien im eingeschneiten Park von Schönbrunn, während der Abend hereindämmerte und eine andere Sicht auf die Welt lenkte, erzählte mir Leo Zogmayer von seinem Vorschlag für eine gewünschte Erweiterung eines städtischen Lichtkonzeptes. Statt die Lichtführung in der Stadt durch weitere Objekte zu vermehren schlug er vor, bei Vollmond doch einmal das Licht auszumachen und das Mondlicht zuzulassen. Der Vorschlag verwirrte und löste die alte Furcht vor der Finsternis aus.

Kunst muß wie jeder Betrieb produzieren. Etwas wegzulassen stört das Fortschrittsdenken und die schöne Reise der Kultur ans Licht. Wie Tanizaki Jun’ichiro in seinem berühmten Entwurf einer Ästhetik des Schattens und der Dunkelheit zeigt, ist dies wohl eine typisch abendländische Figur, worin die Menschen sich lieber blenden und reflektieren lassen wollen, – als sich durch die stille Kraft des milden Lichtes zu erweitern. Auch das Mondlicht wäre sehr hell. Aber um das wirksam werden zu lassen bräuchte es eine kleine Eingewöhnungsphase. Dem Ansitzen der Jäger vergleichbar, denen sich erst durch eine Einfühlphase der Wald öffnet.